Martin Luther - Reformator und Gutmensch?
Martin Luther – von Licht und Schatten einer Reformation
Ein naturreligiöses Nachdenken über Erneuerung, Macht und das Heilige
Symbolbild (KI-generiert) stellt den Reformator Martin Luther mit einer Bibel in der Hand dar.
Am 31. Oktober, wenn vielerorts Kürbisse leuchten und Kinder als Geister durch die Straßen ziehen, gedenkt die evangelische Welt des Reformationstages. Martin Luther, der Augustinermönch aus Wittenberg, soll im Jahr 1517 seine berühmten 95 Thesen an die Tür der Schlosskirche geschlagen haben – ein Akt, der das Christentum und die europäische Kultur tiefgreifend verändern sollte.
Doch jenseits der Schulbücher und Denkmäler lohnt sich ein zweiter Blick – besonders für Menschen, die heute naturverbundene, spirituelle oder pagane Wege gehen. Denn das, was Luther „Reformation“ nannte, trägt ein universelles Motiv in sich: die Rückkehr zum Ursprung, zur „wahren Form“. Und genau dieses Motiv prägt auch viele naturreligiöse Strömungen – die Sehnsucht nach dem Wesentlichen, die Wiederentdeckung alter Rituale, die Befreiung von starren Dogmen.
Reformation – Rückkehr und Erneuerung
Das Wort Reformation stammt aus dem Lateinischen: re-formare, „zur ursprünglichen Form zurückbilden“. Gemeint ist nicht einfach Veränderung, sondern bewusste Wiederverbindung mit dem Ursprung – mit dem, was als wahrhaftig, lebendig oder heilig empfunden wird.
Auch der moderne Paganismus, ebenso wie viele naturreligiöse Bewegungen, kennt diese innere Bewegung: die Suche nach Wurzeln, nach Authentizität, nach einer Spiritualität, die nicht auf Dogma, sondern auf Erfahrung gründet. Jede lebendige Religion muss sich – wie eine Pflanze – immer wieder prüfen, häuten und erneuern, wenn sie nicht erstarren will.
Luther als Befreier: Die Bibel in der Sprache des Volkes
Martin Luther (1483–1546) gilt als der große Reformator, weil er den Menschen den Zugang zu religiösen Quellen ermöglichte. Seine Übersetzung der Bibel ins Deutsche (ab 1522) war revolutionär. Sie machte das Lesen und Denken in Glaubensfragen zu einem persönlichen Akt – nicht länger nur Sache der Geistlichen.
Damit begann eine neue Ära religiöser Mündigkeit. Der Gedanke, dass jeder Mensch selbst lesen, verstehen und urteilen könne, legte einen Grundstein für individuelle Spiritualität und Bildung. In diesem Sinne war Luther tatsächlich ein Befreier – jemand, der die Tore zum Wort öffnete.
Doch diese Befreiung hatte auch Grenzen.
Das Prinzip „sola scriptura“ – Wenn das Heilige zum Text wird
Luthers theologische Grundüberzeugung lautete sola scriptura – „allein durch die Schrift“. Damit wollte er das Christentum zu seiner Quelle zurückführen, zur Bibel als einzig gültiger Autorität.
Dieser Gedanke stärkte einerseits das kritische Denken, andererseits schuf er eine neue Form von Abhängigkeit: Das Heilige wurde an das Buch gebunden. Alles, was nicht schriftlich belegt war, geriet in Verdacht.
Damit begann eine Entwicklung, die viele mündliche, naturbezogene oder weiblich geprägte Traditionen abwertete. Der Buch-Glaube verdrängte den Erfahrungs-Glauben. Was keine Zeilen in einer Heiligen Schrift fand, galt als „Aberglaube“ oder „Götzendienst“.
Gerade aus naturreligiöser Sicht kann man darin eine der folgenreichsten Verschiebungen Europas sehen: Die Entwertung des Mündlichen, Körperlichen, Natürlichen.
Luthers Schattenseiten: Hass, Gewalt und Ausgrenzung
So aufrüttelnd Luthers frühe Schriften waren, so erschreckend sind viele seiner späteren Äußerungen. Seine Haltung gegenüber Juden, Frauen und Menschen mit Behinderungen war von einem fanatischen Ton durchzogen, der die religiöse Gewalt seiner Zeit nicht nur widerspiegelte, sondern verschärfte.
Antisemitismus
In seiner Schrift Von den Juden und ihren Lügen (1543) forderte Luther:
„Erstlich, daß man ihre Synagogen oder Schulen mit Feuer anstecke, und was nicht verbrennen will, mit Erde überhäufe, daß kein Mensch einen Stein oder eine Schlacke davon sehe ewiglich.“
(Martin Luther: Von den Juden und ihren Lügen, 1543, Weimarer Ausgabe, Bd. 53, S. 502f.)
Und weiter:
„Man soll ihnen ihre Häuser auch zerbrechen und zerstören. […] Man soll ihnen nehmen all ihre Betbüchlein und Talmude, darin solch Abgötterei, Lügen, Fluch und Lästerung gelehrt wird.“
Diese Sätze sind keine Randnotizen, sondern zentrale Bestandteile seiner späten Theologie. Sie wurden später von antisemitischen Bewegungen immer wieder aufgegriffen – bis in die Zeit des Nationalsozialismus.
Haltung zu Frauen und Hexen
Auch über Frauen, die man der Hexerei verdächtigte, äußerte sich Luther mit grausamer Schärfe. In seinen Tischreden (Nr. 3979, 1538) sagte er:
„Die Hexen sollen getötet werden, denn sie schaden, so viel sie können.“
An anderer Stelle heißt es:
„Ich wollte keine Gnade für sie haben; ich wollte sie alle verbrennen.“
 (Tischreden, WA TR 1, Nr. 6118)
Diese Haltung trug dazu bei, dass sich in vielen protestantischen Gebieten die Hexenverfolgungen verschärften. Während die katholische Kirche im 17. Jahrhundert langsam zurückruderte, loderten in protestantischen Territorien die Scheiterhaufen oft noch heftiger – etwa in Württemberg, Hessen, der Pfalz und Teilen der Schweiz (vgl. Wolfgang Behringer: Hexenverfolgung in Bayern, 1997).
Ableismus und Entmenschlichung
Besonders erschütternd ist Luthers Haltung zu Menschen mit Behinderungen. In einer Tischrede (WA TR Nr. 5207) äußerte er über sogenannte „Wechselbälger“ – Kinder mit körperlichen oder geistigen Beeinträchtigungen:
„Ich halte gänzlich dafür, daß solche Wechselkinder nur ein Stück Fleisch, eine massa carnis, sein, da keine Seele innen ist; denn solche könne der Teufel wohl machen.“
Und weiter:
„Wenn ich da Fürst oder Herr wäre, so wollte ich mit diesem Kinde in das Wasser […] und wollte das homicidium dran wagen!“
Er sprach also offen davon, ein behindertes Kind zu ertränken, und erklärte solche Menschen zu „Teufelsgeschöpfen“. Diese Aussagen stehen in krassem Widerspruch zu dem humanistischen Ideal, das ihm oft zugeschrieben wird.
Reformation als Spiegel unserer Zeit
Reformation bedeutete im 16. Jahrhundert Befreiung – aber auch Spaltung. Bildung – aber auch Verfolgung. Gewissensfreiheit – aber auch Dogmenstreit.
Für uns heute kann sie ein Spiegel sein: Sie zeigt, dass religiöse Erneuerung immer ambivalent ist. Wo ein Mensch das Heilige zu ernst nimmt, kann daraus sowohl Mitgefühl als auch Gewalt entstehen.
Gerade naturreligiöse Menschen sollten sich mit diesem Erbe befassen – nicht aus Schuld, sondern aus Bewusstsein. Denn das Erbe des sola scriptura wirkt bis heute fort: in der Vorstellung, dass Religion nur dann „echt“ sei, wenn sie ein Buch, eine festgelegte Lehre oder eine hierarchische Struktur besitzt.
Eine neue Reformation – jenseits der Bücher
Eine wahrhaft zeitgemäße Reformation müsste heute genau das Gegenteil anstreben: die Anerkennung der Vielfalt religiöser Ausdrucksformen – schriftlich oder mündlich, weiblich oder männlich, naturverbunden oder rational.
Sie würde nicht trennen, sondern verbinden. Nicht das Heilige in ein Buch sperren, sondern es in der Welt erfahren: im Atem, im Wasser, im Kreis der Jahreszeiten, in den Geschichten, die Frauen weitergeben, und in den Ritualen, die Gemeinschaft nähren.
Wie jede Pflanze braucht auch Spiritualität nicht nur Wurzeln, sondern auch Wind und Wandel. Reformation – verstanden als Rückkehr zum Ursprung – geschieht immer dann, wenn wir das Leben neu sehen lernen.
Quellen und Literatur:
Martin Luther: Von den Juden und ihren Lügen (1543), Weimarer Ausgabe, Bd. 53.
Martin Luther: Tischreden, Weimarer Ausgabe, TR Nr. 3979, 5207, 6118.
Wolfgang Behringer: Hexenverfolgung in Bayern: Volksmagie, Glaubenseifer und Staatsräson in der frühen Neuzeit. München: Oldenbourg, 1997.
Heinz Schilling: Martin Luther. Rebell in einer Zeit des Umbruchs. München: C.H. Beck, 2012.
Lyndal Roper: Martin Luther. Renegade and Prophet. London: Vintage, 2017.
Gunda Werner Institut: Hexen, Macht und Geschlecht. Feministische Perspektiven auf Reformation und Verfolgung, 2020.
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